Zar Putin der Scheinheilige

Ukraine

Putins heiliger Krieg

Wundert sich jemand, dass Wladimir Putin in der Ukraine bestialisch morden lässt? Speziell in Deutschland erschrecken wir uns ja doch noch darüber, zu welchen Greueltaten Putin und sein Rußland in der Lage sind.

Der Schreck rührt wohl daher, dass deutsche Politiker, Intellektuelle und Medien es seit Putins Inthronisation partout nicht zur Kenntnis nehmen wollten, wofür dieser Mann steht. Deutschland hat ja nicht einmal die naheliegenden Merkwürdigkeiten im eigenen Land bemerken wollen. Die skrupellose Amoral des Gerhard Schröder, 16 Jahre lang von Merkels Einlullpolitik verpixelt.

Und kaum war Merkel abgetreten, da startete Putin eigentlich nur eine weitere Stufe, die bündig an die vorherigen anschließt. Was für niemanden überraschender aussah als für die eingelullten Deutschen.

Lesen, was Putin liest, um Putin zu verstehen

Man lese sich ein bisschen in die Gedankenwelt derer ein, zu denen Putin sich zählt und aus deren Werken er schöpft. Das ist derzeit vor allem ein gewisser Alexander Dugin. Dass den in Deutschland nur ein paar Lesejunkies kennen, zeigt schon, was in der deutschen Politik, in der Publizistik und in den intellektuellen Salons (falls vorhanden) schief läuft.

Alexander Dugin ist der derzeit wohl einflussreichste Intellektuelle Rußlands. Seine Ideen sind seit der Sowjetzeit im Prinzip immer unverändert dieselben. Er teilt die Welt in eine atlantische und eurasische Sphäre einerseits und eine nördliche und südliche andererseits ein.

Atlantik gegen Eurasien, nordisches „Arctogaia“ gegen Süden

Atlantik bedeutet für Dugin den Einflussbereich der USA, des Westens, der individuellen Freiheiten, des Wohlstandskonsums und ähnlicher für ihn schlimmer Dinge.

Eurasien dagegen steht für ihn für Tradition, alte Werte, pure Spiritualität, positive Identifikation, kollektive Seligkeit und allerlei weitere Schönheiten.

Der Norden heißt bei Dugin Arctogaia, womit er einen Ur-Kontinent meint, den er auf dem Nordpol verortet. Dieses Arctogaia mitsamt seiner paganistischen (heidnischen oder neoheidnischen) Religion sei der Ursprung der nordischen, eurasischen Kultur, die es zu bewahren und zu verbreiten gelte. Ähnliches kennt man aus Nazi-Mystik und auch aus der grünen Partei vor allem in den Jahren nach ihrer Gründung.

Der Süden ist für Dugin im Grunde nur minderwertiges Material, das in der warmen Sonne nichts rechts zustande brächte.

Nationalbolschewismus statt Nationalsozialismus

Seine Ideologie nennt er Nationalbolschewismus, und die lohnt nähere Betrachtung. So schreibt er:

„Der Nationalbolschewismus ist die Sorte Ideologie, die vollständig und radikal jegliche Individualität zurückweist; die Absolutheit, in deren Namen das Individuum abgelehnt wird, ist […] gesellschaftlicher Grundkonsens (common sense).“

Oder, noch deutlicher:

„Nationalbolschwismus ist eine Superideologie, offen für alle Feinde der offenen Gesellschaft.“

Beide Zitate finden sich in Dugins Essay „Die Metaphysik des Nationalbolschewismus“, zitiert von James D. Heiser, Bischof einer evangelikal-lutheranischen Diözese in den USA und Autor des Buches über Dugin „The American Empire Should Be Destroyed“ – deutsch: Das amerikanische Imperium sollte zerstört werden.

Und ja: Dugin findet alle „Feinde der offenen Gesellschaft“ toll und sagt das auch genau in dieser Offenheit.

Neurechte Denker und Esoteriker

Heiser beschreibt Dugins Werdegang und den Einfluss der beiden neurechten, traditionalistischen Denker und Esoteriker René Guenon und Julius Evola auf sein Denken. Heiser findet auch Bezüge zu den beiden deutschen bzw. österreichischen Esoterikern Guido List und Jörg Lanz zu Liebenfels. Das ist insofern bemerkenswert, als diese beiden schon Hitlers krudes Weltbild und insbesondere seinen Antisemitismus mitprägten.

Von Guenon und Evola habe Dugin seine Idee der zyklischen Geschichte übernommen – laut der sich bestimmte Zeitalter immer auf diese oder jene Weise schicksalhaft wiederholen. Und jetzt sei mal wieder die letzte Stufe in einem „Kampf der Engel“ erreicht, als den Dugin die letzten Siege des westlichen Atlantiks verstehe.

„Der Faschismus fiel zuerst. Als letzte antiliberale Festung blieb danach nur die UdSSR. Dann sah es so aus, als werde das letzte Buch der geopolitischen Konfrontation zwischen dem Mammon, dem westlichen Atlantik-Dämonen, den perversen ‘kosmopolitischen Kapital-Engeln‘, geschlossen.“

Aber noch, so Dugin, sei nicht alles verloren:

„Der Nationalbolschewismus ist die letzte Zuflucht der Feinde der offenen Gesellschaft, es sei denn, sie hielten an ihren historisch nicht haltbaren und absolut ineffektiven Doktrinen fest.“

Was Dugin hier meint, zutreffend von Heiser geschlussfolgert: Faschisten und Kommunisten würden ihre Zeit damit verschwenden, sich aneinander abzuarbeiten, statt einzusehen, dass sie eigentlich auf derselben Seite kämpften, nämlich gegen den verderbten Westen.

Bestseller-Autor und Parlamentsberater

An dieser Stelle ist es angebracht, kurz Dugins Einfluss in Russland und auf Putin zu beschreiben. Eines seiner Bücher ist Lehrstoff für die Ausbildung der russischen Generalstabsoffiziere. Er sitzt im Beraterstab des russischen Parlamentspräsidenten. Dugin ist gefragter Autor, hat mehrere historisch-esoterische Werke als Bestseller herausgebracht und ist im Kreml bestens vernetzt.

Manche Historiker bezweifeln zwar, dass Dugin unmittelbar auf Putin wirke, aber das, sagt der Historiker Michel Etchaninoff, sei auch gar nicht nötig, denn beide schöpften aus denselben Quellen.

Endlich verständlich: Wie Putin Nazis und Kommunisten vereint

Verständlich wird hier jedenfalls, wie es kommt, dass Putin vor allem in Deutschland so ein vermeintlich obskures Bündnis aus Links- und Rechtsextremisten zustandebringt. Putin-Fans finden sich bei der AfD, der NPD, der Linkspartei und im linken Spektrum bis weit in die SPD.

Womöglich liegt die Erklärung genau darin, dass Links- wie Rechtsradikale sich auf den Moskauer Kompass einnorden. Die Verächtlichmachung individueller Freiheit, die immer stärkere von links wie rechts gefeierte Übergriffigkeit des Staates, die Umdeutung von Begriffen wie Solidarität, die Vergesellschaftung persönlicher Lebensbereiche wie die Familie – all das taugt offensichtlich zur Neusortierung der politischen Lager.

Unheilige Dreifaltigkeit

Oder, in Dugins Worten, wiederum zitiert von Heiser:

„Zwischen ‚links‘ und ‚rechts‘ gibt es die eine und unteilbare Revolution, nämlich in der dialektischen Triade ‘drittes Rom – drittes Reich – dritte Internationale’“.

Wobei Dugin als „drittes Rom“ das byzantinische Erbe Moskaus als neue Heimstatt der Orthodoxie versteht.

Wer jetzt befürchtet, Dugin könne Politik auch noch als Religionsersatz verstehen – na klar doch.

Westkirche und Wahabismus: Für Dugin nur Parodien

Religion kommt bei ihm verschärft ins Spiel, wo er sich mit der Vielvölkerschaft Russlands auseinandersetzt. Im Kaukasus und Mittelasien leben imnmerhin etliche muslimische Völker unter der Moskauer Knute. Was Dugin als harmonisches, gewissermaßen naturgegebenes Miteinander umdeutet.

Indem er festlegt, dass (wiederum zitiert aus Heiser)

„die orthodoxe Kirche und der traditionelle Islam (Shia, Hanafi, Sufi, in einem Wort: eurasisch) vollwertige und genuine östliche Tradition prägen, während protestantische oder wahabitische Häresie Parodien und Substitute darstellen, resultierend aus apokalyptischer Zerstörung der reinen Spiritualität.“

Amen.

Wer wundert sich also angesichts göttlicher Fügung, dass Putin wie der Teufel Männer, Frauen und Kinder in der Ukraine ermorden lässt? Seine Soldateska zum Foltern und Vergewaltigen ermuntert?

Osteuropa und der Westen haben verstanden. Und Deutschland?

Es ist womöglich gar nicht vorsätzliche Teufelei, die ihn treibt. Es ist ganz offensichtlich der manische Glaube an eine wahrhaft göttliche russische Welt, die größer sei als ein Normalsterblicher zu fassen vermag. Da ist der Mord nicht bestialische Banalität. Da ist der Mord ein Sakrament.

Putin führt einen Heiligen Krieg. Der Westen hat das wohl inzwischen auch verstanden. Vor allem der osteuropäische Westen hat es verstanden – die baltischen Staaten, Polen, Tschechien, Rumänien, Bulgarien, weitere.

Und vielleicht begreifen es irgendwann demnächst auch die Deutschen.