Bayerns Staatsregierung möchte herausfinden, ob Globuli als Ersatz für Antibiotika taugen. Das scheint sich als ziemlich schwierig zu erweisen. Geld ist da, 1,4 Millionen Euro, und auch ein Team von Wissenschaftlern, die es gern ausgeben würden – aber bisher nicht wissen, wie sie eine Studie gestalten sollen, die einerseits die Politiker zufriedenstellt, andererseits den wissenschaftlichen Ruf nicht zu sehr ramponiert.
Um eingangs noch einmal die Basis zu legen: Homöopathie ist, wenn Apotheker z.B. ein Mittel gegen Grippe verkaufen, weil ein französischer Lazarettarzt im 1. Weltkrieg meinte, in seinem optischen Mikroskop grippeauslösende Mikroben entdeckt zu haben. Woraus wiederum irgendjemand schloss – wer und warum auch immer –, dass diese Mikroben besonders häufig in Entenlebern vorkämen.
Hä? Genau!
Viren mit Schülermikroskop entdeckt
Deshalb stellen Homöopathie-Produzenten Mittel aus Entenlebern und – klar, logisch – auch aus Entenherzen her. Mittel, von denen sie auf Basis der lazarettärztlichen Mikroskopie behaupten, sie wirkten gegen die Grippe, und zwar die echte, manchmal tödlich verlaufende.
Für dieses Mittel pulverisieren sie die Entenorgane und verdünnen sie so stark, dass pro Fläschchen kaum mal ein einziges Entenleber oder -herzmolekül vorhanden ist, was aber egal ist, weil sich das Wassergedächtnis das Entenklein merke und darum die Wirkung des entischen Bakteriums dem Globuli-Gläubigen mitteile.
Blöd an der Story ist allerdings schon der allererste Anfang. Grippe wird bekanntlich von Viren ausgelöst. Viren sind jedoch zu klein, als dass man sie mit optischen Mikroskopen sehen könnte. Das geht nur mit Raster-Elektronenmikroskopen, und die gab es im ersten Weltkrieg noch nicht, auch nicht in Feldlazaretten, nicht einmal in französischen.
Wer mir nicht glaubt: Hier die Details zur Vorgeschichte.
Damit zurück in die moderne Gegenwart, genauer: ins Jahr 2019. Da beschloss der bayerische Landtag, die Wirkung von Homöopathie bei akuten Entzündungen wissenschaftlich überprüfen zu lassen.
CSU, Freie Wähle und Grüne stimmen für Eso-Eselei
Konkret lautet der Auftrag, herauszufinden, ob Globuli anstelle von Antibiotika gegeben werden könnten. Denn dann könne man den Einsatz von Antibiotika reduzieren und womöglich Antibiotika-Resistenzen vermeiden.
Eingebracht hat den Antrag der damalige Staatssekretär, inzwischen zum Minister aufgestiegene Klaus Holetschek. Seine CSU sowie Freie Wähler und Grüne hatte er dabei auf seiner Seite.
Seitdem ist in der Sache nicht viel passiert. Nicht nur, dass zwei Jahre nach dem Landtagsbeschluss noch kein einziges Resultat vorliegt. Es gibt bisher noch nicht einmal ein Konzept für eine Studie, mit der sich die von den Gesundheitspolitikern gewünschten Erkenntnisse gewinnen ließen.
Holetschek-Ministerium: Wir haben ein Studienkonzept!
Fragen dazu beantwortet Holetscheks Ministerium nur zögerlich. In der ersten Antwort, die ich von seinem Haus erhalte, steht, „dass derzeit die Pandemiebekämpfung im Vordergrund steht“ und die Fachabteilungen des Ministeriums darum „sehr gefordert“ seien, man bitte um Verständnis. Immerhin scheint aber ein Interview mit Minister Holetschek möglich. Die Sprecherin erkundigt sich, wann man das führen möchte.
Zur Sache teilt das Ministerium dann auf Nachfrage nach einigen Tagen mit: „Die Studienkonzeption ist abgeschlossen“. Das allerdings stimmt nicht, wie sich wenig später herausstellt.
„Es müssen alle Register gezogen werden“
Den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren – das wäre für sich genommen eine gute Idee. Minister Holetschek bemüht sich darum nach Kräften, sein esoterisches Homöopathieprojekt mit seriöser medizinischer Rhetorik aufzupeppen.
Im Landtag heißt es in einem weiteren vom ihm und Kollegen initiierten Antrag, multiresistente Keime – also Erreger, die sich auch von unterschiedlichen Antibiotika nicht mehr bekämpfen lassen – könnten bis zum Jahr 2050 „Krebs als zweithäufigste Todesursache abgelöst haben“.
Darum müssten jetzt „alle Register gezogen“ werden. Im Dezember 2021, ein Jahr nach dem ursprünglichen Studienauftrag, stockte der bayerische Landtag auf Holetscheks Antrag das Budget von ursprünglich knapp einer Million auf knapp 1,4 Millionen Euro auf. Tatsächlich dürfte der Grund wohl darin liegen, dass die knappe Million nicht genügte, um Wissenschaftler auf ein Projekt zu setzen, mit dem sie wissenschaftlich nur verlieren können.
Aber für 1,4 Millionen ließ sich dann doch was machen. Inzwischen steht fest, wen die Politik mit der Durchführung der Studie beauftragt. Es ist ein Team der Technischen Universität München (TUM) und des zur TUM gehörenden Klinikums rechts der Isar. Projektzeitraum laut Holetschek-Ministerium: ab Beginn dieses Jahres bis zum 31. Dezember 2023.
Weitere Auskünfte könnten die Projektbeteiligten geben, schrieb die Ministeriumssprecherin.
Holetschek-Ministerium irrt: Doch noch kein Studienkonzept
Können sie aber nicht.
„Unsere Wissenschaftler sind noch dabei, die Studie zu konzeptionieren“, schreibt TUM-Sprecher Ulrich Meyer. Das überrascht, denn das Holetschek-Ministerium hatte ja mitgeteilt, die Konzeption sei bereits abgeschlossen. Was stimmt jetzt? Gibt es ein Konzept für die Studie oder gibt es keines?
Das Ministerium antwortet auf weitere Nachfrage: „Wir haben nochmal nachgehakt“, schreibt die Sprecherin. „Die IHOM-Studie wird am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München durchgeführt. Wir schlagen vor, sich mit diesen Informationen noch einmal an die dortige Pressestelle zu wenden.“
Studienkonzept vielleicht im Frühjahr?
Was dann aber auch nichts Neues erbringt: „Wie bereits mit meinem TUM-Kollegen Ulrich Meyer besprochen, können wir Ihnen gern im kommenden Frühjahr entsprechende Auskünfte geben“, schreibt Barbara Nazarewska, Sprecherin des Klinikums rechts der Isar. Es bleibt also dabei: Bisher ist völlig unklar, wie die politisch wohl erhoffte Wirksamkeit von Globuli gegen gefährliche Keime nachgewiesen werden könnte, auch, wenn das Ministerium etwas anderes mitteilt.
Hört man sich bei Mitarbeitern der TUM um, dann ahnt man, wo das Problem liegt. Namentlich zitieren lassen will sich niemand. Der Auftrag sei politisch gewollt und wissenschaftlich unseriös, heißt es. Es gebe längst genügend Studien über die (Nicht-) Wirksamkeit von Homöopathie. Zum Studienauftrag sei es darum nur schwer möglich, eine seriöses Design zu entwickeln, das auch ethischen Grundsätzen entspreche.
So müsse die Studie randomisiert und doppelblind sein – sprich: Die Auswahl der Teilnehmer zufällig, wobei weder die Teilnehmer noch die Ärzte wissen dürfen, welche Patienten Antibiotika und welche Globuli verabreicht bekommen.
Globuli gegen Globuli testen – was mag da nur rauskommen?
Das werfe auch ethische Bedenken auf. So dürften Patienten, für die Antibiotika womöglich lebensnotwendig seien, keinesfalls an der Studie teilnehmen. Sie könnten sterben, wenn sie als Studien-Probanden ein homöopathisches Zuckerkügelchen erhielten – dessen Wirksamkeit anders als bei neuentwickelten pharmazeutischen Präparaten seit Jahrzehnten als widerlegt gilt.
Außerdem sehen sich die Entwickler mit der Frage konfrontiert, wie sie den Vergleich zwischen einem homöopathischen Präparat und einem quasi offiziellen Placebo messen sollten. Nach dem Stand der Wissenschaft würden sie damit ein homöopathisches Placebo mit einem allseits als Placebo akzeptierten Präparat vergleichen.
Entsprechend scharf fällt die Kritik von Homöopathie-Kritikern am Vorgehen der bayerischen Gesundheitspolitiker aus. „Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Forschung zur Homöopathie zeigen allesamt, dass die Homöopathie nicht über Placeboeffekte hinaus wirkt“, sagt Norbert Aust, Sprecher des „Informationsnetzwerk Homöopathie“. „Dass man nun noch einmal öffentliche Mittel dafür aufwenden will, ist mit einem rational arbeitenden Verstand nicht zu erfassen.“
Ärzteverbände schweigen vorsichtshalber
Aust kritisiert auch die Technische Universität München. Dass die sich für die Studie hergebe, zeige, „wie weit die Wissenschaft bereits von der Notwendigkeit zur Einwerbung von Drittmitteln korrumpiert ist.“ Zu hoffen sei, dass die „zuständige Ethik-Kommission dieses Vorhaben ablehnen wird.“
Keine Stellungnahme wollten Bundes- und bayerische Ärztekammer abgeben. Auch die kassenärztliche Vereinigung, die sich in der Vergangenheit eher homöopathiekritisch äußerte, lehnte einen Kommentar ab.
Und das Angebot für ein persönliches Interview mit Minister Holetschek zog das bayerische Gesundheitsministerium nach meinen wiederholten Nachfragen zur Sache zurück.
Hinzufügen möchte ich eine weitere Erkenntnis, die meine Recherche erbrachte. Im Ministerium Holetschek glaubt man offensichtlich, Homöopathie helfe nicht nur gegen bakterielle Infekte, sondern auch Schäden des Corona-Virus.
Holetscheks Schwurbel-Referat macht jetzt was mit Long Covid
Darauf kam ich, als ich mich über die ausweichende erste Ausrede ärgerte, in der das Ministerium mal lässig die große Aufgabe der Pandemiebekämpfung als vorgeschaltete Entschuldigung für unwilliges Antworten ins Spiel brachte. Ich erlaubte mir dreisterweise, die darin enthaltene Aussage ernst zu nehmen.
Also: Das Ministerium schrieb, es könne eine Weile dauern, bis ich eine Antwort bekäme, weil die Fachabteilung alle „mit der Pandemiebekämpfung“ beschäftigt seien.
Alle? Zufällig weiß ich, dass Minister Holetschek noch zu seiner Zeit als Staatssekretär ein spezielles Referat für Alternativmedizin und ähnlichen Quark einrichtete, ausdrücklich auch für Homöopathie, das Referat 74 im bayerischen Gesundheitsministerium. Also wollte ich wissen, ob auch das Referat 74 gerade mit Pandemiebekämpfung beschäftigt sei.
Darauf antwortete die Pressestelle erstmal nicht, weshalb ich explizit nachfragte:
Nachfragen möchte ich auch noch einmal der Klärung halber zur Rolle des Referats 74 bei der Pandemiebekämpfung: Habe ich Sie da richtig verstanden und das Referat hat mit Corona zu tun und welche Rolle spielt es dabei ggf.?
Darauf erhielt ich folgende Auskunft:
Zu Referat 74 darf ich Ihnen mitteilen, Sie können nicht-namentlich „eine Ministeriumssprecherin“ zitieren.„Grundsätzlich sind fast alle Referate des Hauses in der ein oder anderen Form mit der Pandemie-Bekämpfung befasst. Dazu gehört auch das Thema Post-COVID/Long-COVID.“