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Das nennt man Timing! Ausgerechnet jetzt, wo in Deutschland die Debatte um die Atomkraft mit allen Finten betrieben wird, taucht Greta Thunberg auf und mischt sich ein. Haut ihren grünen Freunden in Deutschland ein böses Brett vor die Stirn und springt der von Grünen eh längst für lästig erklärten FDP bei.

Wer in der Google-Suche die Worte „Thunberg Germany Nuclear“ eintippt, bekommt in der News-Ansicht annähernd 100.000 Ergebnisse angezeigt. Medien auf dem ganzen Globus berichten.

„Tunberg Says ‚Mistake‘ For Germany to Use Coal Over Nuclear“ – France 24.

„Coal worse than nuclear plants: Thunberg“ – Blue Mountains Gazette.

„Move over, Greta: new influencer makes nuclear cool.“ – The Australien.

Und so weiter.

Die Welt kopiert nicht Deutschland, die Welt isoliert Deutschland

Nicht die Grünen schicken ihre frohe Kunde vom deutschen Energiewendewunder um die Welt, als das aller Herren Länder selig dasselbe täten. Nein: Greta sendet eine Botschaft an die deutschen Grünen, und zwar via Maischberger in deutlicher Vernehmbarkeit überall auf dem Globus. Völker der Welt, schaut auf diesen Habeck!

Natürlich ging das dann sofort social viral. Greta und Atomkraft – besser geht nicht.

Es gab Spott, Häme und Applaus. Natürlich auch und gerade von Leuten, die sonst keine Greta-Fans sind. Darüber mokierten sich Atomkraftgegner. Das sei ja Rosinenpickerei. So in der Art hatte ich es zahlreich in meiner Timeline.

Greta-Verächter freuen sich über Gretas Verrat. Na und?

Sie übersehen, dass mit Greta eine aus dem grünen Lager das eigene grüne Lager düpierte. Von innen heraus. Genau darum tut es auch so weh. Und genau darum ist die Schadenfreude so groß.

Dabei war das nicht das erste Mal. Vor längerer Zeit hatte Thunberg schon einmal Kohle und Kernkraft verglichen und Kernkraft als ungefährlicher bezeichnet.

Das war bei einem Auftritt mit Luise M. Neubauer. Neubauer widersprach damals Thunberg, die das geschehen ließ. Der Vorfall zog keine größeren Kreise. Das Thema Atomkraft war zu der Zeit abgehakt – im Sinne von: Vollständig erledigt und bei den Akten. Eine wahrnehmbare Debatte über Kernkraft gab es nicht in Deutschland. Merkel hatte das Thema ein für allemal erledigt.

Ökomodernisten reden längst mit, jetzt endlich auch hier

Dachten jedenfalls alle. Und bekamen darum erst spät mit, dass sie falsch lagen.

In den USA wechselte ein großer Teil der Ökobewegung ins Pro-Atomlager, als der Klimawandel in den Fokus geriet. Einer der Gurus dieser „Ökomoderne“ ist Steward Brand. Auch in Deutschland hatten ein paar Atom-Einsiedler überlebt, etwa Leute aus der Szene der Piratenpartei im Verein Nuklearia oder die Technikhistorikerin Anna Veronika Wendland. Auch sie wägten Risiken ab – Kernkraft versus Klima. Auch sie befanden: Kernkraft hilft.

Und jetzt, man hätte es noch vor ein paar Monaten nicht für möglich gehalten, geht genau diese Bewegung durch die Decke. Mit Merz, Industrie und Teilen der Gewerkschaften. Sogar mit Markus Söder, der vor elf Jahren mit Rücktritt von seinen Ämtern drohte, sollte die Union nicht den Ausstieg aus der Atomkraft beschließen, mithin eines durchaus Mitverantwortlichen für die heutige Misere.

Sie hat sich nicht versprochen. Sie meint das.

Und jetzt auch noch Greta. Ausgerechnet Greta. Unser aller Idol. Wir haben sie jahrelang auf Händen getragen. Sie verehrt. Waren sogar ein bisschen stolz, sie zu einer Ikone zu machen. Einem Wahrzeichen. Eines, das uns Sinn stiftet. Uns einen Platz in der ganz großen Welt verschafft. Greta hat ja vor der UNO gesprochen. Unsere Greta.

Die sich – leider auch heute – jedes Wort gut überlegt. Die routiniert ist im Umgang mit Medien aller Art. Die weiß, wann welcher Satz wirkt. Wobei egal ist, ob sie Berater um sich hat oder sich jeden Gedanken selber macht. Und darüber, wie sie ihn an den Mann bringt.

Da war Maischberger eine grandiose Idee. Der Clip, der ab Mittag via Twitter viral ging, dürfte mit Greta abgesprochen gewesen sein, das ist bei solchen Formaten üblich. Grüne Minister, Vorstände und Abgeordnete dürften ungläubig auf ihre Bildschirme gestarrt haben. Sie mögen gehofft haben, Greta habe sich verplappert. Sie würde das klarstellen. Aber nichts. Denn Greta verplappert sich nicht. Sie weiß, was sie tut.

Der Druck auf Habeck & Co. steigt jetzt massiv

Die Freude – zugegeben: auch Häme – gegenüber den verklappten Grünen war darum schon verständlich. Natürlich waren das viele, die vorher Greta verspotteten oder vollkübelten. Das ändert aber nichts daran, dass die sich über einen fetten Widerspruch mitten im Innern der Grünen und ihrer Bewegung freuen. Und sorry, logisch freuen sich politische Gegner der Grünen über einen grünen Fail. Was denn sonst, bitte?

Vermutlich wird der Jubel noch lauter, wenn sich herumspricht, was Gretas Botschaft international bedeutet.  Im Ausland, und zwar annähernd global, sind die Deutschen, speziell deutschen Grünen in Energiefragen nämlich annähernd isoliert. Mir fallen nur die Belgier ein, die da noch mitgehen. Sonst niemand. Weder andere grüne Parteien noch – erst recht – andere Regierungen.

Aus Frankreich, den Niederlanden oder Polen gab es sogar offene Kritik am deutschgemachten Anteil an der europäischen Stromknappheit, was überall die Preise steigen lässt.

The Medium is the Message

Und in dieser angespannten Lage erscheint Greta. Die weltweit noch einmal den Chor der ganzen Welt gegen deutsche Energiepolitik anschwellen lässt.

Typisch für Greta ist ja, dass sie mit Bedacht spricht und ihre Worte darum immer wirken. Das kann niemand bestreiten, auch und gerade die nicht, die sich verzweifelt fragen, warum eine schwedische Jugendliche ohne Beruf und Erfahrung ständig in Nachrichten ernst genommen wird. Die Antwort darauf: Darum. Sie funktioniert als Medium.

Grüne in der Zwickmühle

Und als solches funktioniert sie super, 55.000 Einträge bei Google News in ein paar Stunden. Glückwunsch. Das schaffen nicht viele.

Den Grünen hat Greta damit eine böse Falle gestellt.

Bleiben Sie beim Atomausstieg, dann stellen sie sich gegen Greta und den Teil der Szene, der loyaler zu ihr steht als zu den deutschen Grünen. Sowas kann mit Spaltung enden, wenn man nicht aufpasst.

Und der womöglich progressivere, jüngere und aggressive Flügel könnte Ökostrom ganz anders definieren als die altgrünen Herren Habeck und Trittin. Womöglich würde Vero Wendland bei Greta-Freunden mitmachen, womit die dann nicht nur revolutionäres Feuer, sondern auch jede Menge technischen und politischen Sachverstand hätten.

Geben die Grünen dagegen Greta nach und werden plötzlich Atompartei, dann zerlegt es sie sowieso. Der Machtflügel ist viel zu verknöchert und arrogant, um die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Schweden führt die anti-deutschgrüne Fraktion

Anders, als die schwedischen Mitgrünen. Einer von denen, Taake Aanstoot, hatte schon vor ein paar Wochen dem deutschgrünen Minister Habeck gedroht, er könne ja im schwedischen Parlament darüber abstimmen lassen, die Stromleitungen von Schweden nach Deutschland zu kappen – als Vergeltung für das unsolidarische Abschalten der Kernkraftwerke und die eigene Verantwortung für die Stromknappheit.

Aanstoot teilte am Tage der Greta-Atombotschaft einen deutschsprachigen Tweet eines Accounts namens Replanet_DACH. Er fordert die deutsche Sektion von Friday For Future auf, endlich Kernenergie zu befürworten.

Diese Schweden. Als hätten sie sich abgesprochen.