Wie die Corona-Politik die Demokratie verdrängt
Im Verein, bei der Wahl der Elternsprecher, bei Abstimmungen in Partei-Gliederungen – auf allen Ebenen demokratischer Abstimmung mischt sich das Corona-Regime jetzt schon im dritten Jahr ein. Ob das aus Sicht der Volksgesundheit unbedingt notwendig ist oder nicht will ich hier nicht diskutieren. Worum es mir stattdessen geht: Zu zeigen, wie sich aus der Corona-Politik eine demokratieschädliche Dynamik entwickelt, der sich viele nicht bewusst sind und die vielfach relativiert wird.
Beispiel: Wahl der Klassen-Elternsprecher. Bei uns ging das letztes Mal im Notverfahren. Alle Klassenzimmer waren gesperrt. Eltern durften (und dürfen nach wie vor) das Schulgebäude nicht betreten. Als einzig seuchentauglicher Raum galt die Turnhalle.
Debatten unerwünscht
Also organisierte die Schule eine Art Fließbandbetrieb: Nacheinander bekamen die Eltern jeder Klasse eine halbe Stunde zugewiesen. Debatten wurden schon in der Einladung als unerwünscht bezeichnet. Im Schnellverfahren wurden per Akklamation die Elternvertreter gewählt. Den demokratischen Formalien genüge getan, hinterher schnell nach Hause.
Beispiel: Wahl eines Vereinsvorstands. Ähnliche Regeln: Bitte keine Debatten. Der alte Vorstand schlägt Namen vor. Jemand noch einen Vorschlag? Schnell alle Positionen durchgewählt. Den demokratischen Formalien genüge getan, hinterher schnell nach Hause.
Beispiel: Kandidatenaufstellung in der Partei. Ähnliche Regeln, Ort der Versammlung: Eine Turnhalle. Überhaupt: Turnhallen sind wegen Corona zu Not-Konferenzsälen umgewidmet. Sport in Hallen war ständig verboten und ist es teils jetzt noch. Darum wohl durfte man auch in Straßenschuhen rein.
Wahlen nur als demokratische Formalie
Stühle vorschriftsmäßig mit Abstand aufgestellt. Teilnehmerzahl begrenzt. Eine Mandatarin hält eine Ansprache, der Ortsvorsitzende auch. Schnell ein paar Redebeiträge erledigt. Abstimmung. Fertig. Den demokratischen Formalien genüge getan, hinterher schnell nach Hause.
Freilich: Die aufgestellten Kandidaten sitzen jetzt vier Jahre im Bundestag. Ihre Nominierung war definitiv nur formal demokratisch. Und so sieht es derzeit überall im Land aus. In Gremien, Vereinen, Parteien – überall, wo Entscheidungen demokratisch gefällt werden.
Fatale neue Normalität
Für sich genommen mag jedes dieser Beispiele banal sein. In der Summe sind sie das aber nicht. In der Summe führen all diese kleinen Demokratie-Beschränkungen zu einem Schwund an Demokratie im Großen und Ganzen.
Diese Sorte verkürzter Demokratie fühlt sich im dritten Corona-Jahr regelrecht normal an. Erschreckenderweise finden einige diese neue Normalität angenehm. Sie ist ja auch bequem. Wer nicht mit der Mehrheit gehen will, wird einfach überhört und weggestimmt. Die Mehrheit hatte es nie besser. Nie war es leichter, die Minderheit auszublenden.
Das ist fatal. Das ist auch nicht unser verfassungsmäßiges System. Die Normalität in einer Demokratie ist streitige Debatte. Die Abstimmung ist die Entscheidung nach der Debatte, nachdem alle die Chance hatten, ihre Argumente auszutauschen.
Das Corona-Regime beschränkt das Argumentieren. Das Corona-Regime begünstigt die, die das Sagen haben. Das Corona-Regime zentralisiert die Macht.
Das Regime muss komplett verschwinden
Liegt hier der Grund dafür, dass 2022 die Frühjahrs-Normalisierung noch zäher verläuft als vergangenes und vorgegangenes Jahr? Obwohl Corona weniger gefährlich ist, obwohl Omikron für die allermeisten weniger ist als eine übliche Saisongrippe?
Dass Politiker sich in Notstandsvollmachen verlieben könnten wird seit Beginn der Pandemie befürchtet. Im dritten Pandemiejahr kommt man nicht um Erkenntnis herum, dass es so wohl gekommen ist.
Und genau darum muss das Corona-Regime beendet werden, und zwar vollständig und ohne den geringsten Rest. Der Notstand darf sich nicht normal anfühlen. Sonst geht der Schwund an Demokratie immer weiter.
Foto: Jürgen Mattern – Wikimedia Commons
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